Anleger sehen sich parallel mit immer mehr Chancen und Risiken an den Börsen konfrontiert. Hohe Liquidität stützt den Aktienmarkt, Kriegssorgen belasten dagegen.
An den US-Börsen hat sich am Freitag die Rekordjagd fortgesetzt. Alle wichtigen Standardwerte- und Technologie-Indizes sowie der führende Nebenwerte-Index Russel 2000 erreichten Höchststände. Unverändert werden die Anleger von der Hoffnung getrieben, dass die Leitzinsen in den USA weiter sinken und so den Unternehmen niedrigere Finanzierungskosten bescheren. Sinkende Zinsen haben zudem den positiven Effekt, dass der heutige Wert der hohen Erträge der Tech-Unternehmen noch steigt.
Ein klares Meinungsbild der Analysten war auch am Ende der vergangenen Woche nicht zu erkennen. Birgit Henseler von der DZ Bank erwartet in den kommenden Monaten weitere geldpolitische Lockerungen in den USA. Denn der jüngste Zinsschritt dürfte kaum ausreichen, um die wachsenden konjunkturellen Risiken am Arbeitsmarkt vollständig aufzufangen. Angesichts der wieder leicht anziehenden Inflation dürfte jedoch die Notenbank dabei behutsam vorgehen und die geldpolitischen Schritte sorgfältig dosieren.
Anleger sollten vorsichtig vorgehen
Die Experten der UBS sehen allgemein Potenzial für weitere Kurssteigerungen, auch wenn sie kurzfristig für globale Aktien eher neutral gestimmt sind. Sie raten Anlegern dazu, schrittweise zu investieren – vor allem dann, wenn mögliche Kursrückgänge neue Chancen mit sich bringen. Denn auch angesichts der robusten Wirtschaft und struktureller Trends wie etwa dem Thema Künstliche Intelligenz bleibe das Umfeld für Aktienanlagen positiv.
Investitionsoffensive in Deutschland enttäuscht
Andererseits fehlt für Europa aktuell Fantasie. Abgesehen von den stark uneinheitlichen Konjunkturprognosen gehen die Lageberichte nach Branchen und Einzelwerten weit auseinander. Dazu kommt eine konfuse Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik der Berliner Koalition: Die Investitionsoffensive der Bundesregierung entpuppt sich als Enttäuschung: Statt eines echten Investitionsbooms zeigt eine Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft, dass das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) vor allem bestehende Haushaltslöcher stopft. Viele angekündigte Mittel werden durch Kürzungen im Kernhaushalt neutralisiert. Die Investitionsquote sinkt, und die Wachstumschancen der deutschen Wirtschaft trüben sich ein. Ohne gezielte Investitionen und Strukturreformen drohen Inflation und höhere Zinsen – mit potenziellen Folgen für Europa.
Die US-Notenbank bleibt trotz eines erwarteten Anstiegs der Kerninflation auf 3,0 Prozent gelassen und sieht die Entwicklung als vorübergehend, bedingt durch einmalige Faktoren wie Zollerhöhungen.
US-Fantasie für weitere Leitzinssenkungen
An der Wall Street haben die monetären Hoffnungen der Investoren durch die jüngste Zinssenkung der Fed neue Nahrung erhalten. Die Leitzinsprojektionen enthalten bis Ende 2025 noch zwei weitere Senkungen. Für 2026 gehen die Meinungen der FOMC-Mitglieder sehr weit auseinander.
Die globalen Finanzmärkte profitieren derzeit von stark steigender Liquidität. Neben den USA trägt auch China mit geldpolitischen Lockerungen und Stützungsmaßnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur bei. Aktien- und Kreditmärkte zeigen sich daher weiter robust. Gleichzeitig warnt Beat Thoma, Chief Investment Officer bei Fisch Asset Management, vor den Risiken einer künstlich manipulierten Zinskurve und den tiefgreifenden Folgen für Inflation, Inflationserwartungen und langfristige Staatsanleihe-Renditen:
„Das US-Treasury und die Fed versuchen bereits seit einiger Zeit, die Renditen am langen Ende der Zinskurve nach unten zu drücken. Dazu ergreifen sie eine Reihe von Maßnahmen. Neben der verstärkten Emission von T-Bills – die aufgrund ihrer Geldähnlichkeit die Liquidität im Finanzsystem erhöhen – werden Staatsanleihen mit langer Laufzeit am Markt zurückgekauft, was den Preis steigen lässt und damit die Renditen senkt.“
Es wird auch öffentlich Einfluss auf die Fed und sogar auf das ‚Bureau of Labor Statistics‘ genommen, mit dem Ziel, die Anleihenmärkte zu beeinflussen. Außerdem dürfte in absehbarer Zeit die ‚Supplementary Leverage Ratio‘ gelockert werden, um es dem US-Bankensystem zu ermöglichen, noch mehr Staatsanleihen zu kaufen. Diese Maßnahmen dienen nicht nur dem Ziel tieferer Renditen am langen Ende der Zinskurve, sondern erhöhen auch die Liquidität im Finanzsystem und treiben damit die Aktien- und Kreditmärkte bis auf Weiteres nach oben.
Zudem dürfte dies mittelfristig auch den US-Dollar unter Druck bringen, was aber von der US-Regierung gewünscht und gefördert wird. Diese amerikanische Geldmaschinerie wirkt auch auf die globalen Finanzmärkte – verstärkt dadurch, dass viele andere Zentralbanken ihre Geldpolitik ebenfalls lockern. Allein China hat in den vergangenen Monaten umgerechnet mehr als 1500 Milliarden US-Dollar in sein Finanzsystem gepumpt. Potenzielle Risiken werden von den Anlegern derzeit vollständig ignoriert und in den Hintergrund gedrängt.
Finanzmärkte auf einem „Pulverfass“
In den Einschätzungen der Investmentprofis kommen Warnungen nicht zu kurz. So lese ich so oder ähnlich: Insgesamt sitzen die globalen Finanzmärkte auf einem Pulverfass. Doch die Aufwärtstrends sind derzeit noch stabil. Verkaufssignale ergeben sich erst, wenn – einzeln oder in Kombination – folgende Bedingungen eintreten: Der US-Dollar bricht nochmals um mindestens 5 bis 8 % ein, die 10-jährigen US-Staatsanleiherenditen steigen auf über 4,6 %, die 30-jährigen Renditen auf japanische Staatsanleihen erreichen 3,5 %, die globale Liquidität nimmt ab oder die Inflation zieht weiter deutlich an. Erst dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer langanhaltenden Korrektur an den globalen Aktienmärkten massiv.
Zu guter Letzt
Wie Sie wissen, geschätzte Anleger, plädiere ich seit langem für eine Konzentration der Kern-Investments auf Sachwerte (Aktien, Edelmetalle, Strategische Metalle). Bei aller Unsicherheit mit Blick aufs nächste Jahr brauche ich momentan diese Strategie (noch) nicht aufzugeben. Doch stehen Kriegsrisiken am Horizont. Und Europa könnte politisch auseinanderbrechen. Trump-Land sowieso. Wir haben es mit mehreren global wirkenden und nationalen Pulverfässern zu tun. Das gefällt mir nicht…