Wem kann ich vertrauen, fragen sich immer mehr Sparer und Anleger – der Notenbank, der Regierung, der Konjunktur? Wegweisende Antworten werden vorerst ausbleiben.
Allgemeine Unsicherheit ist inzwischen zur Pandemie geworden. Auch die Börsen liefern keine zuverlässigen Spiegelbilder von den Trends in Politik und Wirtschaft. Die Finanzmärkte erleben dagegen zunehmende Volatilität. Kein Wunder, dass die jüngsten Analysen und Prognosen (besser: Prognoseversuche) der professionellen Börsenstrategen oft nicht überzeugen können.
Für mich bleibt die Politik der größte Risikofaktor – geo- und nationalpolitisch gesehen. Frieden, Freiheit und Demokratien sind global gefährdet. Deshalb kann ich gut verstehen, wenn viele von Ihnen, liebe Leser, auf neue Investments in den Sommermonaten verzichten, um vorsichtshalber Ihre Liquidität aufzustocken – bevorzugt durch Cash und Gold.
Was wird aus den USA?
Bleibt wenigstens die Wall Street eine Alternative für europäische Investoren? Die Investmentmanager sind sich nicht einig. Mit dem Verzicht von Joe Biden auf eine weitere Präsidentschaft hat Kamala Harris gute Chancen als demokratische Konkurrentin von Donald Trump. An den Finanzmärkten sorgten diese Ereignisse zwar für eine erhöhte Volatilität, eine klare Richtung gab es bislang jedoch nicht. Schreibt mir ein internationaler Asset Manager: „Wir erwarten im Rennen um die US-Präsidentschaft weiterhin das Unerwartete.“
Die US-Politik bewegt die Märkte mal nach unten, mal nach oben. Auch wenn sie, wie der Frankfurter Stimmungsanalyst Joachim Goldberg berichtet, nicht das Hauptrisiko aus Sicht internationaler Investoren sei. Hiesige Anlegerinnen und Anleger reagieren unterm Strich kaum. Die größte Bewegung kam in der vergangenen Woche von Institutionellen auf der Short-Seite. 5 Prozent haben ihre Short-Engagements geschlossen, sind fast ausschließlich an die Seitenlinie gewechselt. Private haben sich kaum bewegt.
Stimmung und Fakten nicht im Gleichklang
Eine Bestätigung für die völlig diffuse Weltlage zeigt sich in den täglichen Kurszuckungen der Aktien. Die hohe Volatilität des Dax veranschaulicht das kurzfristige Raus und Rein marktbestimmender Anleger. Eine wichtige Börsenstütze bleibt die Liquidität. Deshalb gilt der monetären Notenbankpolitik und der Inflationsentwicklung nach wie vor das besondere Augenmerk. Die Diskrepanz zwischen Stimmung und Fakten zeigt sich aber nicht nur beim Thema Inflation. So hat eine relativ aktuelle Umfrage ergeben, dass eine Mehrheit der Befragten der Meinung ist, dass sich die eigene Geldanlage bzw. Altersvorsorge im vergangenen Jahr in die falsche Richtung entwickelt hat. Angesichts stark gestiegener Aktienkurse, stabiler Immobilienpreise und deutlich höherer Sparzinsen ist dies nach Einschätzung von M.M. Warburg schwer nachvollziehbar. Dazu passt auch die Beobachtung, dass in Umfragen der Zustand der US-Wirtschaft mehrheitlich als schlecht eingeschätzt wird, während umgekehrt die wirtschaftliche Lage des eigenen Bundesstaates positiv beurteilt wird.
Negative News „verkaufen“ sich besser
Dieses Bild kennen wir auch aus vielen Stimmungsumfragen in Deutschland. Während Verbraucher und Unternehmen die allgemeine Lage häufig negativ einschätzen, ist es bei der eigenen Situation oft umgekehrt. Dieser allgemein zu beobachtende Hang zum Pessimismus könnte damit zusammenhängen, dass in den Medien viel häufiger negative als positive Nachrichten verbreitet werden. Untersuchungen zufolge hängt dies damit zusammen, dass negative Schlagzeilen mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen und sich daher besser „verkaufen“.
Klare Börsentendenz noch nicht in Sicht
Wie kann es weitergehen? Eine oft zu beobachtende Sommerflaute an den Aktienmärkten ist bis jetzt ausgeblieben. Statt der saisonal typischen Seitwärtsbewegung gab es wie gesagt, heftige Kursausschläge. Damit verspricht die neue Woche für den Dax alles andere als langweilig zu werden, glauben Frankfurter Händler. Denn die Themen, die in den vergangenen Tagen die Gemüter erhitzt haben, dürften auch weiterhin die Kurse bewegen. Mit Bangen blicken Marktteilnehmer derzeit auf die noch anstehenden Zahlen der großen US-Technologiewerte. Das Problem sind dabei weniger rückläufige Geschäfte als die in die Höhe geschossenen Bewertungen, die nur noch durch ausgesprochen optimistische Gewinnerwartungen zu rechtfertigen sind. Nach Ansicht der Experten der Hessischen Landesbank (Helaba) könnten sich jedoch die „unterstellten Konsens-Gewinnschätzungen als überzogen erweisen und damit weiteren Korrekturbedarf nach sich ziehen.“ Dass die Schockwellen aus Übersee den deutschen Leitindex nicht kaltlassen, hat sich erst in den jüngsten Kursverlusten gezeigt.
Der geringe Anteil an Technologiewerten und die moderate Bewertung der deutschen Standardwerte helfen dabei nur bedingt. Die kommende Woche mit einem weiteren Schwung an Quartalszahlen könnte daher einmal mehr stärkere Kursbewegungen bei einzelnen Werten und Sektoren mit sich bringen.
Wer liefert den nötigen Optimismus?
Setzen Sie also nicht auf eine klare Börsentendenz, geschätzte Privatanleger! Die extrem differenzierte Kursentwicklung wird voraussichtlich andauern und sollte nur spekulative Stockpicker reizen. Was uns allen fehlt, ist eine verbreitete, nachhaltige Zuversicht. Blickt man auf die politisch-wirtschaftlichen Entwicklungen in der westlichen Welt, dann zeigt sich in Deutschland, in der Europäischen Union bis hin nach Amerika ein dringender Bedarf an Optimismus, der nur von der Politik ausgehen kann. Darf man aber auf kraftvollen, überzeugenden Optimismus hoffen? Sie mögen abwinken, liebe Leser. Also erwarten wir das Unerwartete.